Auszug Artikel Tageszeitung: „Markt hat eine Vollbremsung hingelegt“.

Die Immobilienmakler Stefan Jäger und Thorsten Meis über die Notwendigkeit sinkender Verkaufspreise

„Markt hat eine Vollbremsung hingelegt“

Von Björn Boch (Montag 22.05.2023)

„Immobilienmarkt: Der große Einbruch ist ausgeblieben“ – so lautete der Titel eines Interviews im ST im April. Achim Filenius, Vorsitzender
des Gutachterausschusses für Grundstückswerte, hatte darin die Entwicklung auf dem Solinger Wohnungsmarkt 2022 skizziert. Daraufhin meldeten sich die Immobilienmakler Stefan Jäger und Thorsten Meis beim Tageblatt.

    Montagsinterview im ST

    Herr Jäger, Herr Meis, was stimmt nicht an der Aussage: „Der große Einbruch ist ausgeblieben“?

    Stefan Jäger: Die Betrachtung ist in Ordnung, aber nur rückblickend auf das Jahr 2022 gesehen. Das hat der Gutachterausschuss analysiert, wie in dem Interview auch deutlich wurde. 2022 fand, vor allem in den ersten Monaten, noch Umsatz zu hohen Preisen
    statt. Auch ein Mitarbeiter meines Hauses ist in dem Ausschuss vertreten. Jetzt haben wir aber das Gefühl, mal eine andere Botschaft senden zu müssen.  Mittlerweile hat der Markt eine Vollbremsung hingelegt. Ich kenne Kollegen, die 2023 noch keine einzige Immobilie verkauft haben. Dr. Thorsten Meis: Wir haben von 2016 bis 2021 einen Verkäufermarkt gesehen. Da haben meist die Verkäufer bestimmt, wo es lang geht. Das war schön für sie, hat sich aber
    um 180 Grad gedreht.

    Warum ist das so?

    Meis: Die Zinsen lagen unter dem langjährigen Durchschnitt. 2020 und 2021 lagen sie sogar unter 1 Prozent. Wenn ich für 100 000 Euro Kredit nur 1000 Euro Zinsen im Jahr zahle, schlage ich zu und zahle entsprechend mehr für eine Immobilie. Das hat, auch durch die vielen Kaufinteressenten, Preise nach oben getrieben. Insbesondere die letzten beiden Jahre vor der Zinserhöhung waren Strohfeuerjahre. Jetzt liegen die Zinsen bei fast 5 Prozent, damit sind viele potenzielle Käufer vom Markt verschwunden. Der Preisanpassungsprozess ist aber nicht hinterhergekommen. Deshalb verkaufen sich Immobilien nicht so wie zuletzt. Und das Preisniveau hat sich spürbar gesenkt.

    Man könnte spöttisch sagen, dass das Ihr Problem ist und der Markt das schon regeln wird.

    Jäger: Das wird er. Vielleicht passiert es dank dieses
    Gesprächs ein wenig schneller. Die Nachfrage, darauf wollen wir hinweisen, ist nach wie vor da. Auch wenn die Zinsentwicklung einige Kaufinteressenten  ausschließt. Der Stau auf dem Markt gerade bildet sich, weil die Preisvorstellungen der Verkäufer noch zu hoch sind. Und das führt zu Problemen für alle Seiten.

    Verkäufer können doch einfach warten, bis die Preise wieder steigen.

    Meis: Insgesamt wird der Druck auf dem Markt für gebrauchte Immobilien zwar eher größer werden – wegen der hohen Neubaupreise. Aber dass die Preise auf das Niveau der vergangenen Jahre steigen, erwarten wir unter den aktuellen Bedingungen nicht in den nächsten drei bis fünf Jahren. Wer heute  verkauft, bekommt ja noch deutlich mehr Geld für sein Haus als vor fünf oder zehn Jahren. Ein Verkauf erfolgt aber eben nur bei realistischen Preisvorstellungen des Anbieters.

    Warum ist das so?

    Jäger: Wir müssen Objekte ehrlich bepreisen. Das  muss auch bei einigen Maklern noch ankommen. Wer den Preis zu hoch ansetzt, bekommt am Ende  weniger raus als jemand, der niedriger startet, aber schneller  verkauft. Eine Erhebung des Immobilienverbandes  IVD West zeigt: Wer ein Haus mit einem Verkehrswert von beispielsweise 500 000 Euro für 600 000 Euro anbietet, braucht für den Verkauf 15 Monate und erhält am Ende 430 000 Euro dafür. Wer mit 510 000 Euro startet, braucht nur 3 Monate und erzielt im Schnitt 475 000 Euro.

    Wie ist denn die Situation im Neubaubereich?

    Jäger: Wir benötigen extrem viel neuen Wohnraum, es wird aber quasi nicht mehr gebaut. Allein wir haben vier Projekte in der Warteschleife. Der Anlegermarkt ist komplett weggebrochen. Wegen hoher Neubaukosten ist die Rendite schlecht, außerdem gibt es wieder einige Prozent auf der Bank. Wir brauchen dringend staatliche Anreize für Neubau nd Kauf. Wir werden da definitiv keine sinkenden Kosten mehr bekommen. Wir hielten 5000 Euro pro Quadratmeter beim Verkaufspreis mal für undenkbar. Das kostet es in begehrten Lagen Solingens aber inzwischen. 

    Meis: Selbst der aufstrebende Mittelstand ist  mittlerweile angesichts solcher Preise – und dann noch hoher Zinsen – nicht mehrin der Lage, Eigentum zu erwerben.

    Wohnen muss jeder. Steigen jetzt die Mieten, wenn die Verkäufe zurückgehen?

    Jäger: Wir haben aktuell mindestens 50 Prozent  weniger Anfragen für Kaufimmobilien – und 50 Prozent mehr bei Mietimmobilien. Inzwischen schaden wir weniger vermögenden Menschen mit einem so angespannten Mietmarkt.

    Meis: Es gibt aus unserer Sicht einen drastischen  Nachfrageschub auf dem Mietmarkt – diejenigen, die  nicht mehr kaufen können, mieten jetzt. Dies treibt bereits spürbar die Mieten, insbesondere bei Neuvermietungen.

    Wenn kaum noch neu gebaut wird, kann dann mehr saniert oder im Bestand attraktiviert werden?

    Meis: Auch das ist natürlich viel teurer geworden. Und mit dem geplanten Gebäudeenergiegesetz kommt  da noch mal eine ganz andere Dynamik rein. Verkäufer von älteren Häusern und Wohnungen haben gerade ein Riesenthema, weil sie viel investieren müssen. Solche Objekte drohen angesichts der energetischen Anforderungen schnell an Wert zu verlieren. Die  Förderkulisse muss sich ändern, sonst bekommen wir Probleme bei der Energiewende und auf dem  Wohnungsmarkt.

    Jäger: Trotzdem brauchen wir Neubau. Der öffentlich geförderte Wohnungsbau ist durch den Anstieg des Zinsniveaus enorm interessant geworden, viele trauen  sich da aber noch nicht dran. Und es gibt  Unsicherheiten. Bestimmte Investoren verfolgen das jetzt aber. Dennoch glaube ich, dass die Mieten  absehbar explodieren werden, während ein Neubau für die meisten derzeit nicht zu bezahlen ist.

    Weshalb die Förderung für Bauherren fordern.

    Jäger: Ja. Wo sind denn die Einfamilienhäuser für junge Familien? Die kaufen keine Eigentumswohnungen mehr, und die Häuser haben wir nicht. Wir müssen auch Menschen und Investoren  fördern, die vermeintlich schon viel Geld haben, und steuerliche Anreize schaffen. Dann würden Preise wieder sinken. Davon würden „Normalverdiener“  profitieren. Wir brauchen dringend Wohnraum in den Metropolen. Mittlerweile gehört Solingen dazu. Längst erreichen uns Anfragen für Immobilien von Menschen aus Bonn oder Oberhausen.

    Meis: Es ist für die Stadt gut und wichtig, dass  Menschen von außerhalb kommen. Zuletzt ist das bei O-Quartier und den Neubauten am ehemaligen Stadion sehr gut gelungen. Um das eine oder andere Neubauprojekt muss man sich aber Sorgen machen.

    Persönlich

    Stefan Jäger: Ist seit der Ausbildung zum  Bankkaufmann in einem öffentlich rechtlichen Kreditinstitut seit 1996 im Solinger  Immobilienmarkt tätig, seit 2017 als geschäftsführender Gesellschafter der Olaf Jansen Immobilien GmbH. Er ist 51 Jahre alt und hat zwei Kinder

    Dr. Thorsten Meis: Nach BWL-Promotion in der Unternehmensberatung tätig, kam er über Kreditberatung von Banken zu den Immobilien. Seit Gründung der Kubikom Immobilien GmbH 2008 deren geschäftsführender Gesellschafter. Er ist 52 Jahre alt und hat zwei Kinder.

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